ERZlich Willkommen liebe Freunde der Schutz- und Leittechnik. Wie der Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber ENTSO-E (European Network of Transmission System Operators for Electricity) mitteilt, ist die am 10. Januar 2019 verzeichnete signifikante Frequenzabweichung im europäischen Verbundnetz teilweise auf einen sekundärtechnischen Fehler zurückzuführen. Die Netzfrequenz fiel an diesem Tag auf 49,8 Hz und nur das sofortige und gezielte Eingreifen der europäischen Übertragungsnetzbetreiber, konnte ein weiteres Absinken der Netzfrequenz und damit ein schwerwiegendes und folgenreiches Szenario verhindern.
Was war passiert?
Es ist ein ganz normaler Donnerstag Abend. Europa macht es sich am 10. Januar 2019 zum wohlverdienten Feierabend vor dem Fernseher gemütlich und bekommt nichts von den Ereignissen im Hintergrund mit. Zum Glück. Denn um 21:02 Uhr mitteleuropäischer Zeit kommt es im kontinentaleuropäischen Verbundnetz, zur größten negativen Frequenzabweichung seit 13 Jahren. Für ganze 9 Sekunden fiel der Wert der Netzfrequenz auf 49,8 Hz in den Keller. Zum Vergleich: In 2006 ging es sogar bis auf 49 Hz runter.
Woran hat's gelegen?
Laut ENTSO-E sei das zeitgleiche Zusammentreffen von zwei Ereignissen für die signifikante Frequenzabweichung im Verbundnetz verantwortlich gewesen. Zum Einen gab es eine deterministische Frequenzabweichung aufgrund des Stundenhandels während der allabendlichen Spitzenlast. Als „deterministische“ Frequenzabweichung werden Abweichungen bezeichnet, die im selben Zeitbereich mit einem ähnlichen Verhalten einher kommen. Man könnte sie auch als „vorhersehbare“ oder „zu erwartende“ Abweichung bezeichnen.
Diese deterministische Frequenzabweichung wurde zusätzlich durch eine lang anhaltende Frequenzabweichung von durchschnittlich 30 mHz überlagert, da ein technischer Messfehler vorlag. Dieser war das sogenannte „Zünglein an der Waage“ und in Summe mitverantwortlich für die insgesamt alarmierende Situation.
Wie ENTSO-E mitteilt, soll ein „eingefrorener“ Messwert auf vier Leitungsverbindungen zwischen Österreich und Deutschland bereits seit dem 09. Januar bis einschließlich 11. Januar bestanden haben. Dieser „eingefrorene“ Messwert war der Grund, warum das zusätzlich bestehende Leistungsdefizit nicht korrekt in die Regelleistungserbringung einfließen konnte.
Die „eingefrorene“ Messung im Detail
Im offiziellen Bericht der ENTSO-E heißt es, dass der Übertragungsfehler des Messwertes bereits seit 13:25 Uhr des 9. Januars bestand. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte die letzte fehlerfreie Messwerterfassung bei 723 MW in Richtung Österreich. Diese wurden über die vier Verbindungen der TenneT zum österreichischen Übertragungsnetzbetreiber der APG exportiert, da zeitgleich eine sehr hohe Windenergieerzeugung von 34 GW vorherrschte. Als die deutsche Windenergieerzeugung dann am nächsten Tag auf 4 GW zurückging, kehrte sich der Leistungsfluss zwischen Österreich und Deutschland um und es mussten sogar 330 MW durch Deutschland importiert werden, während der Leistungs-Frequenz-Regler weiter mit dem „eingefrorenen“ Messwert von 723 MW in Gegenrichtung gespeist wurde. Die fehlerhafte Regelgröße führte zu Frequenzabweichungen von bis zu 60 mHz (30 mHz im Durchschnitt).
Für den komplexen Ablauf der Ereignisse und die Erkenntnisse aus dem Vorfall empfehlen wir die offizielle Pressemitteilung und den Bericht der ENTSO-E (Link am Ende des Artikels).
Wie konnte ein Blackout verhindert werden?
Die unmittelbare Gefahr eines europaweiten Blackouts bestand bei einer Frequenzabsenkung auf 49,8 Hz natürlich noch nicht. Hier greift zunächst die teilweise automatische und auch manuelle Aktivierung von unverzögerten Leistungsreserven und der Abwurf von Speicherpumpen. Durch Hilfe aus Frankreich konnte das weitere Absinken der Netzfrequenz des kontinentaleuropäischen Verbundnetzes in den Griff bekommen werden. Der französische Übertragungsnetzbetreiber RTE reagierte umgehend mit einem Notabwurfbefehl und nahm 1,5 GW industrieller Großstromverbraucher vom Netz. Auf diesem Weg konnte die Frequenz des Netzes stabilisiert und die Normalfrequenz von 50 Hz wieder erreicht werden.
Für die europäischen Privathaushalte blieb alles hell, warm und gemütlich.
Lessons Learned?
Neben der Betrachtung von Maßnahmen zur besseren Handhabung deterministischer Frequenzabweichungen, ist auch die Frage der Erfassung und Übertragung von fehlerfreien Messdaten in den Fokus gerückt. Man muss sich vor allem eine Frage stellen:
Wie konnte der Empfänger eines Messwertes über mehrere Tage lang davon ausgehen, dass sich die Messgröße nicht ändert?
Ein solches Verhalten ist für den Lastgang zwischen den Regelzonen per Definition ausgeschlossen. Die einfachsten Methoden können hier problemlos für eine sichere Übertragung sorgen. So könnte der Empfänger zum Beispiel die Plausibilität des erhaltenen Messwertes prüfen und Pings, Keep-Alive-Signale, periodische Reportings oder Pollings würden zusätzliche Sicherheit ermöglichen. Ein „eingefrorener“ Messwert wäre so spielend zu beherrschen.
In der Schutztechnik haben wir zudem redundante Systeme für besonders hohe Anforderungen, welche im Netzschutz als Haupt- und Reserveschutz und in der Erzeugung auch häufig als Schutzgruppe 1 und Schutzgruppe 2 bezeichnet werden. Sicherlich auch ein ernstzunehmender Ansatz für alle Komponenten von systemrelevanten Messwerterfassungs- und Übertragungseinheiten. Vor einer konsequent durchgezogenen 4-fachen Redundanzarchitektur sollte man sich hier in keinem Fall scheuen, es hängt zu viel dran.
Wie hoch ist die momentane Netzfrequenz?
Die verantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber für die Überwachung der kontinentaleuropäischen Frequenz sind die schweitzer Swissgrid sowie die deutsche Amprion. Auf der Homepage der Swissgrid kann die aktuelle Frequenzmessung angesehen werden.
Hier geht es zur aktuellen Frequenzmessung.
Was im Falle eines Blackouts passiert könnt ihr in unserem folgenden Beitrag lesen: Blackout in Deutschland?