ERZlich Willkommen, liebe Freunde der Schutz-, Leit- und Elektrotechnik. Wir teilen hier auf unserem Expertennetzwerk SCHUTZTECHNIK.COM wöchentlich hochwertige Fachbeiträge und erhalten dennoch immer wieder Nachrichten mit Anregungen. So schreibt zum Beispiel „Smiling Phoenix“ unter eines unserer Videos zum Oberschwingungsverfahren bei Erdschlussschutz:
„Der ganze Kanal klingt so kompliziert, dass wir ein Beweis brauchen, ob das alles stimmt, was gesagt wurde. Ich hab’ das Gefühl, des es ein Scherz ist.“
Nun, es ist verständlich, dass es unzählige Neulinge in der elektrischen Schutztechnik gibt, welche auch einfache Grundlagenthemen lernen wollen und mit unseren Fachbeiträgen überfordert sind. Wir werden uns natürlich nicht auf das Niveau der typischen TikTok-Gemeinschaft begeben, aber dennoch sind auch wir der Meinung, dass wir mehr Beiträge für Einsteiger produzieren sollten. Dieser Überlegung wollen wir in Zukunft Rechnung tragen und legen heute einfach mal los mit einem ersten Grundlagenbeitrag. Dabei widmen wir uns der Frage: Was ist UMZ-Schutz?
Viel Spaß beim Lesen oder Sehen,
Euer SCHUTZTECHNIK-TEAM
(Textbeitrag unter dem Video)
Warum UMZ-Schutz ?
Wir werden auch dieses Mal mit der Frage nach dem Warum beginnen. Ich erinnere noch einmal gern:
„Wer ein Warum hat, kann jedes Wie ertragen.“
Warum benötigen wir eigentlich einen UMZ-Schutz? Also beginnen wir von vorn.
Alle elektrischen Betriebsmittel und Komponenten unserer dreiphasigen Energiesysteme werden im fehlerfreien Normalbetrieb gefahren. In diesem fehlerfreien Betrieb fließen zulässige Lastströme, welche von allen beteiligten Komponenten verkraftet und getragen werden können. In einer perfekten und idealisierten Welt, bräuchten wir uns nun keine weiteren Gedanken zu machen. Der Laststrom fließt, die Isolationen werden nicht älter und der Bagger greift auch nur dahin, wo er tatsächlich hingreifen darf.
In unserer realen Welt hingegen, ereignen sich unvorhersehbare Ereignisse, welche zu elektrischen Kurzschlüssen führen. Das können etwa Isolationsdurchbrüche aufgrund von Alterung sein, Tiere, die über luftisolierte Stromschienen klettern, Blitzeinschläge in Freileitungen, der bereits erwähnte Bagger greift in ein Kabel oder etwa der Kupferkabeldieb, der noch nie etwas von den 5 Sicherheitsregeln gehört hat. In all den genannten Fällen kommt es zu einer leitenden Verbindung zwischen den drei Außenleitern oder auch zu Erdkurzschlüssen zwischen Außenleiter und Erde. Diese Kurzschlüsse haben Kurzschlussströme zur Folge, welche um ein Vielfaches über dem zulässigen Betriebsstrom liegen. Dabei handelt es sich in der Regel um einige Tausend Ampere, welche nicht mehr im zulässigen Laststrombereich der vorhandenen Betriebsmittel liegen. Daraus folgt nun eine thermische Überlastung aller in der Kurzschlussbahn liegenden Betriebsmittel. Das heißt, wenn der Kurzschlussort in einem Transformator liegt, so wird nicht nur dieser, sondern auch das einspeisende Kabel und die Schaltanlage, welche den Kurzschlussstrom ebenfalls führen, thermisch unzulässig beansprucht und ggf. geschädigt.
Wenn ihr Euch ein klassisches Mittelspannungskabel genauer anseht, werdet Ihr feststellen, dass der Bemessungs-Kurzschlussstrom für solch ein Kabel immer für eine Sekunde angegeben wird. Daran sehen wir bereits, dass es wichtig ist, einen Kurzschlussstrom immer innerhalb dieser Sekunde zu klären, da wir andernfalls die Beschädigung des Kabels riskieren. Aus diesem Grund errichten wir ein Schutzsystem, welches so schnell wie möglich und idealerweise unterhalb einer Sekunde eine gezielte und voll automatisierte Abschaltung des vom Fehler betroffenen Betriebsmittels herbeiführt. Es ist bei einem Kurzschluss nicht möglich, wie es zum Beispiel bei einem Erdschluss üblich ist, das Betriebspersonal mit der Suche und Abschaltung des Fehlers zu beauftragen, in dieser Zeitspanne wäre bereits Hopfen und Malz verloren.
Das Schutzsystem
Jetzt, wo wir die Frage nach dem Warum geklärt haben, schauen wir uns ein typisches Schutzsystem an. Die Abbildung zeigt eine Primäranlage bestehend aus Einspeisung, zwei Leistungsschaltern, Kabelstrecken und einem Transformator.
Die gewählte Darstellung bezeichnet man als Single-Line-Diagramm, wir haben hier also nur einen einfachen Strich gezeichnet, wohl wissend, dass es sich um eine dreiphasige Anordnung handelt. Der Transformator wird in dieser Applikation durch das Schutzsystem überwacht, welches aus einem dreiphasigen Satz von Stromwandlern auf der Oberspannungsseite des Trafos, der Sekundärverdrahtung sowie einem Schutzrelais besteht.
Die Stromwandler übersetzen die großen Primärströme in kleine normierte Sekundärströme, welche vom Schutzrelais verarbeitet werden können. Das Schutzrelais benötigt in der Regel externe Hilfsenergie, damit es arbeiten kann. Eine Ausnahme bilden sogenannte wandlerstromversorgte Schutzrelais, welche ihren Arbeitsstrom direkt aus den angeschlossenen Stromwandlern beziehen. Das Schutzgerät kann nun nach unterschiedlichen Schutzprinzipien arbeiten, wir schauen uns heute den UMZ-Schutz an.
Der UMZ-Schutz
Klären wir zunächst die Bedeutung der Abkürzung. UMZ steht nicht für Universeller Mega Zapfhahn, sondern bedeutet vielmehr: Unabhängiger Maximalstromzeitschutz. Dabei steht das Wörtchen unabhängig, für die Eigenschaft der Funktion, immer nach dem Ablauf des gleichen Zeitgliedes auszulösen, egal, wie groß der Strom ist. Die Alternative dazu ist der Abhängige Maximalstromzeitschutz, kurz AMZ, welchen wir in einem weiteren Beitrag behandeln werden.
Am besten lässt sich die UMZ-Funktion an einem Stromstrahl erklären.
Der gezeigte Stromstrahl startet links bei null Ampere und steigert sich in Pfeilrichtung auf bis zu einige Tausend Ampere. Im fehlerfreien Betrieb fließt nun ein Betriebsstrom auf der linken Seite.
Ereignet sich ein elektrischer Kurzschluss, so wird der resultierende Kurzschlussstrom um ein Vielfaches über dem Betriebsstrom und damit an beliebiger Stelle auf der rechten Seite liegen.
Der Einstellwert unserer UMZ-Schutzfunktion muss nun intelligent zwischen diesen beiden Werten, also zwischen dem maximalen Betriebsstrom und dem minimalen Kurzschlussstrom liegen.
Ist der Einstellwert zu klein, kann sich eine Schutzauslösung ereignen, obwohl kein Fehler vorliegt. Dieses Phänomen nennen wir Überfunktion. Sollte der Ansprechwert der UMZ-Schutzfunktion zu groß gewählt worden sein, besteht zudem die Gefahr, dass ein besonders stromschwacher Kurzschluss nicht detektiert wird und die gewünschte Schutzauslösung ausbleibt. In einem solchen Fall sprechen wir von der Unterfunktion.
Wenn wir den Einstellwert für eine UMZ-Schutzfunktion ermitteln, gilt es zunächst den minimalen Kurzschlussstrom zu finden. Dabei setzen wir die minimal anzunehmende Kurzschlussleistung an und müssen den Schaltzustand für unsere Berechnung dementsprechend optimieren. Als Ansprechwert versuchen nun wir einen Wert einzustellen, der nur halb so groß wie der minimale Kurzschlussstrom ist, aber immer noch hinreichend weit über dem maximalen Betriebsstrom liegt. Das Verhältnis zwischen minimalen Kurzschlussstrom und unserem gewählten Einstellwert bezeichnen wir als Ansprech-Sicherheitsfaktor fa.
Dieser sollte für den Hauptschutz einen Wert von 2 betragen, damit wir immer auf der sicheren Seite sind und alle Kurzschlüsse auch ordnungsgemäß erfasst werden.
Das Zeitglied
Die UMZ-Schutzfunktion verfügt über eine einstellbare Zeitstufe, welche wie bereits erwähnt konstant und stromunabhängig ist. Die resultierende Kennlinie sieht dann wie folgt aus.
Wir sehen den Strom über der x-Achse und die Zeit über der y-Achse aufgetragen. Der Auslösebereich der UMZ-Funktion ist gestrichelt dargestellt und die Kennlinie besteht aus diesem charakteristischen rechten Winkel, den wir hier sehen. Wenn sich ein Kurzschluss ereignet und der eingestellte Ansprechwert überschritten wird, startet das Zeitglied der Schutzfunktion. Ist das Zeitglied abgelaufen, setzt das Schutzgerät eine Schutzauslösung in Richtung Leistungsschalter ab und die primäre Strombahn wird unterbrochen. Im Diagramm sehen wir nun schön, dass es völlig unerheblich ist, wie groß der Kurzschlussstrom wird, es kommt immer die gleiche Verzögerung zum Einsatz. Der maximale Betriebsstrom und der minimale Kurzschlussstrom sind im Diagramm ebenfalls eingetragen, um den erforderlichen Abstand zu unseren Ansprechwert grafisch erkennbar zu machen.
Mehrstufigkeit
In der Praxis werden insbesondere an Transformatoren häufig zwei UMZ-Stufen miteinander kombiniert. Wenn wir eine weitere Stufe eintragen, sehen wir, dass sich ein Schnittpunkt ergibt.
Netzberechnungsprogramme wie PowerFactory können diese UMZ-Schutzfunktionen darstellen und verbinden dieses gern zu einer zusammengesetzten Kennlinie.
Dabei handelt es sich dann um zwei separat zu parametrierende UMZ-Stufen, die lediglich als kombinierte zweistufige Kennlinie dargestellt werden. Die Stufe mit dem kleineren Ansprechwert wird in der Regel als I>-Stufe bezeichnet und die zweite Stufe nennen wir häufig I>> oder auch Hochstromstufe.
UMZ-Schutz in der Praxis
Wie sieht es nun mit der praktischen Bedeutung des UMZ-Schutzes aus? Zunächst halten wir fest, dass es sich beim UMZ-Schutz um einen sehr einfachen und daher auch gut integrier- und anwendbaren Algorithmus handelt. Er kommt in der Nieder-, Mittel- und Hochspannungsebene zum Einsatz und kann zum Basisschutz der allermeisten elektrischen Betriebsmittel verwendet werden.
Spannend wird es immer dann, wenn mehrere UMZ-Schutzgeräte in einem gemeinsamen Netz zum Einsatz kommen. Um eine selektive Trennung von fehlerbehafteten Betriebsmitteln zu erzielen, also immer nur das vom Fehler betroffene Betriebsmittel abzuschalten, ist eine Koordination der UMZ-Geräte erforderlich. Machen wir ein Beispiel: In der Abbildung sehen wir zwei Transformatoren in einem Umspannwerk, welche auf eine Doppelsammelschiene einspeisen.
Von der Sammelschiene aus startet ein geöffnet betriebener Ring und versorgt die Trafostationen, welche als kleine Striche dargestellt sind.
Ein sehr weitverbreitetes Konzept ist es nun, die Abgänge der beiden Halbringe jeweils mit einem UMZ-Schutz-Relais zu überwachen.
Weiterhin ist es in Deutschland häufig so, dass für die Einspeisung städtischer Kraftwerke, bei Schwerpunktanlagen oder auch an Kundenübergabestationen weitere UMZ-Schutzgeräte zum Einsatz kommen.
Wenn sich nun ein Kurzschluss unterhalb unseres zweiten Relais ereignet, ist es sehr wahrscheinlich, dass die UMZ-Schutzfunktionen beider Schutzgeräte anregen.
Das liegt daran, dass es nicht möglich ist, geeignete Stromansprechwerte zu finden, die eine selektive Unterscheidung des Fehlerortes ermöglichen. Eine solche Stromstaffelung ist zwar möglich, allerdings immer nur an großen Impedanzsprüngen wie zum Beispiel an Transformatoren. Wir müssen uns jetzt hier behelfen, indem wir für jedes UMZ-Schutzgerät eine unterschiedliche zeitliche Verzögerung parametrieren.
Der Staffelabstand dieser Zeitstaffelung beträgt in der Praxis in etwa 200 bis 300 ms, je nachdem welche Schutztechnik zum Einsatz kommt. Kleinere Staffelabstände sind nicht ratsam, da das übergeordnete UMZ-Gerät genügend Zeit benötigt, um wieder abzufallen und zu erkennen, dass der Fehler bereits durch eine unterlagerte Instanz beseitigt wurde. In unserem Beispiel würde nun der Kurzschluss mit einer Verzögerungszeit von 250 ms zur Abschaltung überführt werden, während der übergeordnete UMZ-Schutz nicht auslösen würde, da dieser mit 500 ms verzögert arbeitet.
Und so könnte man nun immer weiter zeitlich staffeln, wobei natürlich bei 1 s Schluss sein sollte, damit wir die Kurzschlussfestigkeit unserer Betriebsmittel berücksichtigen.
Es gibt nun weitere Konzepte wie die rückwärtige Verriegelung oder der richtungsabhängige UMZ-Schutz, mit denen der Basis-UMZ-Schutz optimiert werden kann. Diese und weitere Themen werden wir Euch in zukünftigen Beiträgen vorstellen. Eine generelle Alternative zum UMZ-Schutz ist der Differentialschutz, welchen wir in unserem Beitrag „UMZ vs. DIFF beim Leitungsschutz“ vom 07.01.2020 in einer schönen Animation dargestellt haben. Hier also bitte unbedingt noch einmal reinsehen.
Weitere Informationen
Wir hoffen, dieser Beitrag hat Euch gefallen und Ihr wisst nun, was UMZ-Schutz ist. Wenn Ihr mehr erfahren wollt, dann schaut beim Vor-Ort-Training: „Grundlagen der Schutztechnik“ unserer ENGINEERING ACADEMY rein. Unser Training „Grundlagen der Schutztechnik“ ist genau das Richtige für Euch, wenn Ihr den Einstieg sucht, als Projekt- oder Bauleiter mitreden wollt oder weil Ihr bereits vorhandenes Wissen auffrischen möchtet. Dabei ist es völlig unerheblich, ob Ihr Elektrofachkraft seid und bereits Grundlagenwissen besitzt oder noch nie mit der Elektro- und Schutztechnik in Berührung gekommen seid. Wer an unseren Trainings aufmerksam und mit leerem Speicher teilnimmt, wird mit fachlich fundiertem Wissen im Bereich der elektrischen Schutztechnik ausgerüstet.
Wenn Ihr fortgeschritten seid und unterschiedliche Konzepte zur Einstellung der verschiedenen Schutzfunktion kennenlernen wollt, dann empfehle ich Euch unser Vor-Ort-Training: „Parametrierung & Prüfung von Schutzsystemen“. Hier erfahrt Ihr zum Beispiel, auch wie der UMZ-Schutz richtig eingestellt wird und auf welche Besonderheiten im Detail zu achten ist.
In diesem Sinne, vielen Dank fürs Reinschauen,