ERZlich Willkommen liebe Freund der Schutz-, Leit- und der allgemein überdurchschnittlich gut gebildeten Elektrotechnik. In unserem heutigen Beitrag werfen wir einen Blick auf die Grundlagen des Sammelschienen-Differentialschutzes.
Viel Spaß beim Lesen, eine erfolgreiche Woche und HERZliche Grüsse,
Euer SCHUTZTECHNIK-TEAM
Einleitung
Zunächst einmal lässt sich recht trivial feststellen, dass der Sammelschienen-Differentialschutz ein Schutzsystem ist, welches die Sammelschiene als betreffendes Schutzobjekt zum Ziel hat. Da wir immer besser fahren, wenn wir begreifen warum wir gewisse Dinge tun, sollte zunächst folgende Frage geklärt werden:
„Warum muss eine Sammelschiene überhaupt geschützt werden?“
Hier sind zwei wesentliche Aspekte vorrangig zu nennen. Zunächst sind Sammelschienen häufig mit einer sehr hohen Kurzschlussleistung behaftet. Um eintretende Schäden so gering wir möglich zu halten, sind deshalb schnelle Schutzabschaltungen bei elektrischen Kurzschlüssen im Sammelschienenbereich erforderlich.
Des Weiteren sind Sammelschienen selektiv zu schützen, um kaskadenartige Abschaltorgien zu vermeiden und weitere, vom Fehler nicht betroffene, Betriebsmittel vor dem Ausfall zu bewahren. Damit trägt ein optimal konfiguriertes Sammelschienen-Differential-Schutzsystem erheblich zum sicheren und stabilen Netzbetrieb bei. Aufgrund der mitunter sehr komplexen Strukturen von Sammelschienen-Systemen, ergeben sich einige weitere sehr spezifische Schutzanforderungen, welche über das Know-How von Sicherungseinschüben und Bimetall-Streifen hinaus gehen.
Herausforderungen
Eine ganz grundlegende Anforderung an Sammelschienen-Differentialschutz-Systeme, ist die flexible Anpassungsfähigkeit an die Komplexität der Primäranlage. Sammelschienen-Systeme können sehr umfangreich aufgebaut sein und über viele Schalt- und Trennorgane verfügen. Dazu zählen beispielsweise die Einfachsammelschiene,
die Doppelsammelschiene
oder die Dreifachsammelschiene:
Viele weitere Konfigurationen wie z.B. die 1 1/2-Leistungsschalter-Anlage und zusätzliche Umgehungsschienen sind hier anzutreffen.
Da bei Mehrfachsammelschienen eine selektive Abschaltung der betroffenen Schiene erfolgen muss, während alle fehlerfreien Schienen weiter in Betrieb verbleiben, ist die aufwendige Einbindung und vom Schaltzustand abhängige Auswertung aller vorhandenen Abgangsströme und Trennerstellungen obligatorisch. Weiterhin müssen auch die Auslösekommandos den vorliegenden Schaltungs- und Fehlerszenarios entsprechend adaptiert werden.
Eine weitere wesentliche Anforderung ist die Schnelligkeit des Schutzsystems. Normative Vorgaben über erforderliche Abschaltzeiten von fehlerbehafteten Sammelschienen-Systemen und Schaltanlagen, führen zu Schutzauslösezeiten von unter 200 ms. Unter Berücksichtigung der hohen Ansprüche bzgl. der Verfügbarkeit, kommen hier ausschließlich moderne Sammelschienen-Schutzsysteme in Frage.
Zudem gilt: Analog zum Transformator-Differentialschutz und wie bei jedem anderen Schutzsystem üblich, ist Überfunktion zu vermeiden. So dürfen alle über- und untergeordneten Fehler außerhalb des Schutzbereichs nicht zum Fehlansprechen des Sammelschienen-Differentialschutz-Systems führen. Der Verlust einer Sammelschiene kann größere Netzausfälle nach sich ziehen und damit die Netzstabilität gefährden. Demgegenüber ist natürlich auch die Verfügbarkeit des Schutzsystems elementar, da die zu späte oder sogar eine ausbleibende Abschaltung, zu lang anhaltenden Spannungseinbrüchen und damit unter ungünstigen Umständen, zum Zusammenbruch des Netzes führen können. In der Höchstspannung kommen daher zum Teil vollredundant ausgeführte Sammelschienenschutz-Systeme zum Einsatz.
Ein letzter ganz wesentlicher Aspekt ist die Erweiterbarkeit. Sollte es in späteren betrieblichen Phasen zu primärtechnischen Ergänzungen und Erweiterungen kommen, so ist es wünschenswert, wenn das bestehende Schutzsystem nicht auf die Ausgangskonfiguration limitiert, sondern entsprechend ausbaufähig und flexibel ist.
Schutzprinzip
Die Grundfunktion des Differentialschutzes ist relativ einfach beschrieben. Das Kriterium der Stromdifferenz ist eines der ältesten Schutzkriterien und basiert auf dem 1. Kirchhoffschen Gesetz bzw. dem Knotenpunktsatz.
Dieser besagt, dass die Summe aller in einen Knoten fließenden Ströme 0 ist, wenn die Vorzeichen aller Ströme berücksichtigt werden. Je nach Stromdefinition lässt sich auch sagen, dass die Summe aller in den Knoten fließenden Ströme, der Summe aller aus dem Knoten fließenden Ströme entsprechen muss. Der Schutzbereich wird dabei immer präzise durch den Einbauort der Stromwandler bestimmt. Die Sammelschiene ist also der „zu überwachende Knoten“ und die Summe aller Knotenströme muß zu jedem Zeitpunkt 0 sein. Wird dieses Kriterium verletzt, so muss der Strom über einen Pfad abfließen, der betriebsmäßig nicht vorgesehen ist. Es muss also einen elektrischen Fehler im Schutzbereich geben.
Aus den zu- und abfließenden Strömen wird zudem ein herstellerabhängiger Stabilisierungsstrom berechnet. Aus Differenz- und Stabilisierungsstrom wird dann der umgangssprachlich als Diff-Stab-Strom-Kennlinie bezeichnete Verlauf gebildet. In unserem Beitrag vom 14.12.2020 hatten wir die Diff-Stab-Strom-Kennlinie am Beispiel des Transformator-Differentialschutzes detailliert vorgestellt. Hier nochmal die Erklärung von Björn Cialla / OMICRON.
Es ist klar, auch beim Sammelschienen-Differentialschutz arbeiten die Geräte mit sekundären Größen, welche entsprechend angepasst und normiert werden müssen. Insbesondere die Sättigung von Stromwandlern, kann bei stromstarken und sammelschienennahen Kurzschlüssen Probleme verursachen. Während der fehlerbehaftete Abgang den gesamten Kurzschlussstrom führt, teilen sich die Ströme einspeiseseitig auf und können weitestgehend sauber übertragen werden. Geht der Wandler des stark belasteten Abgangs der Fehlerstelle in Sättigung, weicht die Knotensumme von der stabilen Null ab. Aus diesem Grund wird nicht nur der Differentialstrom, sondern auch der Stabilisierungsstrom berechnet. Während der Differentialstrom in Richtung Auslösung drängt, wirkt der Stabilisierungsstrom der Auslösung entgegen.
Diese Algorithmen werden bei den Herstellern unterschiedlich gestaltet. Um beispielsweise den Differenzstrom eines Siprotec 7SS85 von Siemens zu berechnen, werden die Ströme vektoriell addiert und dann der Betrag gebildet.
Id = | I1 + I2 + I3 + … + In |
Um den Stabilisierungsstrom zu erhalten, werden die Beträge der einzelnen Ströme addiert.
Is = |I1| + |I2| + |I3| + … + |In|
Um die Ansprechempfindlichkeit der resultierenden Kennlinie variieren zu können, kann über einen Stabilisierungsfaktor (herstellerabhängige Bezeichnungen z.B. Siemens = k, ABB = s) der Anstieg beeinflusst werden. Der Stabilisierungsfaktor gibt das Verhältnis aus Differential- und Haltestrom wieder und kann bei modernen digitalen Relais zwischen 0 und 0,9 eingestellt werden. Bei einem Stabilisierungsfaktor bzw. bei einem Anstieg von 1, landen wir auf der inneren Fehlerkennlinie.
Aufbau
Wir müssen den grundsätzlichen Aufbau in zentrale und dezentrale Sammelschienen-Differentialschutz-Systeme unterscheiden. Dabei ist maßgebend, an welchem Ort die AD-Wandlung der Primärströme stattfindet.
Beim zentralen Ansatz, erfolgt die A/D-Wandlung direkt im Zentralteil. Das bedeutet, dass alle Ströme und Trennerstellungen direkt aus den Feldern zur Zentraleinheit übertragen werden. Dieser Aufbau kommt bei kleineren Primäranlagen zum Einsatz.
Für größere Schaltanlagen kommen dezentrale Systeme zum Einsatz. Diese erfassen und wandeln die Ströme leiterselektiv in den Feldern. Die durch Feldeinheiten, welche zudem für weitere Steuer- und Schutzfunktionen herhalten, erfassten und digitalisierten Ströme werden im Anschluss via LWL an eine Zentraleinheit übergeben.
Zonen
Hier ist zunächst der Grundgedanke wichtig, dass sich der Sammelschienen-Differentialschutz immer auf einzelne Sammelschienen und auch auf einzelne Sammelschienenabschnitte bezieht. Ziel ist es ja, selektive Schutzklärungen für eine maximale Verfügbarkeit zu erreichen. Wie bereits beschrieben, sind es die Stromwandlereinbauorte in den Abgängen und Kuppelfeldern, die die einzelnen Schutzbereiche definieren. Damit ist es ein für den Sammelschienen-Differentialschutz spezifisches Merkmal, Zonen bzw. Sammelschienenabschnitte einzurichten. Insbesondere bei größeren Mehrfachschienen ist es erforderlich, getrennte Schutzbereiche schaltzustandsbezogen zu definieren und mit unabhängigen, phasenselektiven und zudem voll funktionsfähigen Differentialschutz-Algorithmen zu versehen. Zudem war und ist auch die hardwareredundante Trennung von Zonen üblich.
Trennerabbild
Die Abbilder der aktuellen Trennerstellungen, dienen der Erfassung und der Zuordnung der relevanten Abzweigströme, da ja immer nur die in Betrieb befindlichen Abgänge in die Schutzzone mit eingehen sollen.
Dabei werden die AUS-Rückmeldungen aller drei Phasen seriell ausgewertet. Zusätzlich werden die EIN-Rückmeldungen zur Prüfung der Plausibilität der Trennerstellungen herangezogen. Zudem ist es üblich das zusätzlich die Trennerlaufzeit sowie die Hilfsspannungen der Trenner überwacht werden.
Checkzone
Selbst wenn die Einbindung aller Trennerabbilder sorgfältig und technisch korrekt ausgeführt ist, können fehlerhafte Rückmeldungen zur Fehlfunktion im Schutzalgorithmus führen. Aus diesem Grund ist die Verwendung einer sogenannten Checkzone üblich. Hier bedient man sich einem einfachen Trick und bewertet alle Abgänge der Gesamtanlage, ohne den momentanen Zustand der Trenner zu berücksichtigen. Es wird also Diff- und Stabstrom für die Gesamtanlage berechnet, ohne dem aktuellen Schaltzustand Rechnung zu tragen. Dabei stellt sich das Grundlegende Problem ein, dass bei der Berechnung des Stabilisierungsstroms bei Mehrfachsammelschienen ein zu großer Wert berechnet wird. Die nachstehende Abbildung verdeutlicht das Problem.
Der Differentialstrom ergibt sich zu:
Id = | I1 + I2 + I3 + I4 + I5 - I4 - I5 | = | I1 + I2 + I3 |
Bei der Berechnung des Stab-Stromes kommt es nun zu einer unerwünschten Überstabilisierung, da die Lastströme I4 und I5 zweifach in die Berechnung einfließen:
Is = |I1| + |I2| + |I3| + |I4| + |I5| + |I4| + |I5|
Um diesem Problem zu begegnen, wird der Stabilisierungsstrom für die Checkzone alternativ berechnet. Zunächst wird die Summe der Beträge aller in Richtung Sammelschiene fließenden Ströme gebildet. Das kleine p steht dabei für "Positive Richtung":
∑ | Ip |
Außerdem wird die Summe der Beträge aller von der Sammelschiene abfließenden Ströme ermittelt. Das kleine n steht hier analog für "negative Richtung":
∑ | In |
Der jeweils kleinere ermittelte Summenstrombetrag wird nun als Stabstrom Is herangezogen:
Is = der kleinere Wert von ∑ | Ip | und ∑ | In |
Für unser eben gezeigtes Beispiel bedeutet das:
∑ | Ip | = |I1| + |I2| + |I3| + |I4| + |I5|
∑ | In | = |I4| + |I5|
Is = ∑ | In | = |I4| + |I5|
Zusammenfassung
Sammelschienen-Differenitalschutz-Systeme dienen dem schnellen und selektiven Schutz von Sammelschienen und können sowohl zentral, also auch dezentral ausgeführt werden. Die grundlegende Arbeitsweise basiert auf dem klassischen Differentialschutz, bei welchem alle Eingangs- und Ausgangsströme überwacht und zur Bewertung des Betriebs- bzw. Fehlerzustandes herangezogen werden. Herstellerspezifische Stabilisierungs- und Optimierungsmaßnahmen tragen zur sicheren Arbeitsweise und zum Schutz vor Überfunktion bei.
Es gibt viele weitere wichtige technische Aspekte bzgl. des Sammelschienen-Differentialschutzes, wie z.B. den Phasenvergleich, den Schalterversagerschutz oder beispielsweise das Thema des Hilfsspannungsverlusts. Für die tiefere Betrachtung der Thematik empfehlen wir die Siemens Publikation von Gerhard Ziegler.