ERZlich Willkommen, liebe Freunde, der Schutz-, Leit- und Elektrotechnik. In unserer neuen Beitragsserie widmen wir uns dem Übertragungsverhalten von Transformatoren und schauen uns an, wie Netzfehler von der jeweils einen auf die andere Seite übertragen werden. In unserem heutigen ersten Teil starten wir mit den Kurzschlüssen, in einem weiteren zweiten Teil schauen wir uns dann die Übertragung von Erdschlüssen an. Los geht’s!
Viel Spaß beim Sehen,
Euer SCHUTZTECHNIK-TEAM
(Lesebeitrag unter dem Video)
Transformation von Netzfehlern? - DER KURZSCHLUSS -
Begriffsklärung
Bevor wir uns das Thema vor die Brust nehmen, klären wir noch kurz die beiden Begriffe: Kurzschluss und Erdschluss und wie wir sie im Kontext unserer Beiträge verwenden. Dies ist deshalb so wichtig, da diese beiden Bezeichnungen in der Praxis regelmäßig etwas unscharf verwendet werden.
Von einem Kurzschluss wollen wir immer dann sprechen, wenn sich ein ein-, zwei- oder dreipoliger Netzfehler in einem wirksam geerdeten Netz ereignet. So wird unter anderem ein einpoliger Fehler in einem niederohmig oder starr geerdeten Mittel-, Hoch- oder Höchstspannungsnetz von uns als Kurzschluss oder auch häufig als Erdkurzschluss bezeichnet. Das Gleiche gilt für einen Fehler im TN-C-S-Netz der Niederspannung, auch hier sprechen wir von einem einpoligen Kurzschluss.
Anders hingegen verhält es sich, wenn wir in einem nicht wirksam geerdeten Netz der Mittel- und Hochspannung einen einpoligen Netzfehler beobachten. In diesem Fall sprechen wir von einem Erdschluss. Analog dazu werden einpolige Fehler im IT-Netz der Niederspannung auch unter der Rubrik Erdschluss geführt. Zwei- und Dreipolige Fehler werden auch im nicht wirksam geerdeten Netz der Mittel- und Hochspannung und im IT-Netz der Niederspannung als Kurzschlüsse bezeichnet, da hier wirksame Kurzschlussströme zum Fließen kommen. Wir sehen also: Zwischen Kurzschluss und Erdschluss wird nur beim einpoligen Netzfehler unterschieden. Bei zwei- und dreipoligen Fehlern handelt es sich immer um Kurzschlüsse, da diese unabhängig von der vorliegenden Netzform generell kurzschlussartige Ströme hervorrufen. Eine Sonderstellung hat der Doppelerdschluss. Er unterscheidet sich vom zweipoligen Kurzschluss nur darin, dass er aus einem einfachen Erdschluss hervorgegangen ist und dass die Kurzschlussbahn zwischen den beiden Außenleitern zwingend über Erde geschlossen wird. Also noch mal die generelle Faustformel zur praktischen Unterscheidung: Bei einem Netzfehler mit wirksamen Kurzschlussstrom werden wir immer vom Kurzschluss reden, bei einem Netzfehler ohne wirksamen Kurzschlussstrom, welcher ggf. einen kapazitiven Erdschlussstrom oder einen Wirkreststrom hervorruft, sprechen wir von einem Erdschluss.
Einleitung
In unserer heutigen Betrachtung geht es explizit darum, wie sich Kurzschlussströme auf die andere Seite eines Transformators übertragen. Starten wir also mit der Frage, wovon die Übertragung eines Kurzschlusses an einem Transformator generell abhängt? Da wäre zunächst das Übersetzungsverhältnis. Es ist jedem von uns intuitiv klar, dass ein Kurzschlussstrom der einen Trafoseite, allein durch das Übersetzungsverhältnis des Transformators einen abweichenden Betrag auf der anderen Trafoseite haben wird. Doch damit nicht genug, es kommt ein weiterer und immer wieder unbeachteter Aspekt hinzu, und zwar die Schaltgruppe des Transformators. Wir gehen nun Schritt für Schritt unterschiedliche Anordnungen durch und ihr könnt hier immer gleich Eure eigene Erwartung mit unseren Lösungen abgleichen.
In der Abbildung sehen wir einen Transformator mit einer Schaltgruppe Dyn, wie wir ihn in der klassischen Kopplung zwischen Mittel- und Niederspannungsnetzen vorfinden.
Wir gehen davon aus, dass sich auf der Niederspannungsseite ein TN-Netz befindet. Daraus folgt, dass sich sowohl ein-, zwei- und dreipolige Kurzschlüsse ereignen können.
Dy-Trafo bei Netzfehler auf Sternseite
Starten wir mit dem dreipoligen Kurzschluss. Wie wird dieser dreipolige Kurzschluss auf der Unterspannungsseite des Transformators auf der Oberspannungsseite in Erscheinung treten? Alle, die davon ausgehen, dass dieser Kurzschluss ebenfalls dreipolig auf der Oberspannungsseite erscheint und nur durch die Übersetzung des Transformators skaliert wird, liegen goldrichtig. Es ist hier vollkommen hinreichend, den unterspannungsseitigen Kurzschlussstrom durch das Übersetzungsverhältnis des Transformators zu teilen und jeder der drei oberspannungsseitig fließenden Kurzschlussströme wird diesem Ergebnis entsprechen.
In der nächsten Abbildung sehen wir einen zweipoligen Kurzschluss auf der Unterspannungsseite. Wie wird sich dieser Netzfehler auf die Oberspannungsseite übertragen? Wird er ebenfalls als zweipoliger Kurzschluss auf der Oberspannungsseite wirken?
Die Antwort lautet nein. Dieser zweipolige Kurzschluss der Unterspannungsseite wird auf der Oberspannungsseite des Transformators als dreipoliger Kurzschluss erscheinen.
Hier stellt sich die Frage, warum das so ist. Um das zu verstehen, müssen wir uns die Anschaltung der Dreieckswicklung auf der Oberspannungsseite genauer ansehen. Es sind zwar nur die beiden Wicklungen von L1 und L2 auf der OS-Seite vom Kurzschlussstrom durchströmt, allerdings zieht sich Wicklung 2 ihren Strom netzseitig aus Phase 3 und der eigentlich zweipolige Kurzschluss wird als dreipoliger Kurzschluss gesehen.
Wie sieht es nun quantitativ aus und wie groß sind die übertragenen Ströme? Zunächst kann festgehalten werden, dass der Kurzschlussstrom in einer der drei Phasen doppelt so groß ist wie in den beiden anderen Phasen und zudem eine um 180° gedrehte Richtung aufweist. Da wir zur Erfassung von Kurzschlussströmen großes Interesse an den minimalen Werten haben, wollen wir nun die beiden kleineren Ströme berechnen. Diese berechnen sich nicht mehr allein auf Basis der Trafoübersetzung, sondern wir müssen hier zudem den Faktor Wurzel 3 berücksichtigen. Wir teilen den unterspannungsseitigen Kurzschlussstrom einer Phase durch das Übersetzungsverhältnis des Transformators und zudem durch Wurzel aus 3 und erhalten im Ergebnis den oberspannungsseitigen Kurzschlussstrom der beiden kleineren Phasen, hier im Beispiel von L1 und L3. Diesen können wir nun mit dem Faktor 2 multiplizieren und erhalten den Kurzschlussstrom in Phase 2. Das Vorzeichen haben wir weggelassen, da wir ausschließlich die Beträge der Ströme betrachten wollen.
Der dritte und verbleibende Kurzschluss im Bunde ist der einpolige Kurzschluss. Im Beispiel haben wir den Fehler in Phase 1 angesetzt.
Auch in diesem Fall wird kein exaktes Abbild übertragen. Vielmehr wird der einpolige Kurzschluss auf der Oberspannungsseite als zweipoliger Kurzschluss sichtbar. Die Beträge der beiden resultierenden Ströme sind identisch und die Richtungen um 180° gedreht. Die Berechnung erfolgt ähnlich wie die beim zweipoligen Fehler, indem wir den Anfangs-Kurzschlusswechselstrom der Unterspannungsseite durch die Trafoübersetzung und Wurzel3 teilen.
Den Grund dafür, dass ein einpoliger Fehler als zweipoliger Fehler gesehen wird, finden wir wieder in der Dreieckswicklung. Wir sehen, dass zwar nur eine Phase durchströmt wird, allerdings ist der Strom gezwungen, sich auf zwei Phasen aufzuteilen.
Yd-Trafo bei Netzfehler auf Dreiecksseite
So weit so gut, allerdings stellt sich nun natürlich auch die Frage, was passiert, wenn die Kurzschlussorte auf der anderen Seite, also auf der Seite der Dreieckswicklung, liegen würden. Dazu schauen wir uns einen üblichen YNd-Transformator an, wie er in hoher Zahl zur Anbindung von Kraftwerken an das Höchstspannungsnetz verwendet wird. Diese auch als Blocktransformatoren bezeichneten Trafos werden in der Regel auf der unterspannungsseitigen Dreieckswicklung durch einen Generator gespeist und sind dann oberspannungsseitig in das wirksam geerdete Übertragungsnetz eingebunden.
Der dreipolige Kurzschluss auf der Generatorseite wird hier analog auf die Netzseite Seite übertragen und wird ebenfalls als dreipoliger Kurzschluss gesehen. Berechnen können wir den oberspannungsseitigen Strom auch an dieser Stelle wieder einfach, indem wir den unterspannungsseitigen Kurzschlussstrom durch das Übersetzungsverhältnis teilen.
Schauen wir uns nun an, wie der zweipolige Kurzschluss von der Dreiecks- auf die Sternseite übertragen wird.
Auch hier wird der zweipolige Fehler dreipolig gesehen, eine Phase führt den doppelten Strom der beiden anderen Phasen und die Berechnung erfolgt wieder nach den bekannten Formeln.
Den einpoligen Fehler der Dreiecksseite betrachten wir heute nicht, da dieser ja kein Kurzschluss, sondern ein Erdschluss ist und im zweiten Teil unserer Serie näher untersucht wird. Wir sehen also, dass es, bis auf den einpoligen Fehler, keinen Unterschied macht, ob der Kurzschlussort auf der Stern- oder Dreiecksseite des Transformators liegt. Die Übertragung ist identisch und erfolgt gemäß der genannten Eigenschaften.
Yynd-Trafo bei Netzfehler auf Sekundärseite
Etwas diffiziler wird es, wenn wir die Übertragung eines klassischen Netzkupplers betrachten. Dazu schauen wir uns einen Yynd Transformator mit einem dreipoligen Kurzschluss auf der Sekundärseite an. Die Tertiärwicklung fungiert als Ausgleichswicklung und die Frage lautet nun: Wie wird der dreipolige Kurzschluss auf die Primärseite übertragen?
Da ein symmetrischer dreipoliger Kurzschlussstrom immer nur aus einem Mitsystem besteht, muss das Übertragungsverhalten unabhängig von der Schaltgruppe des Transformators sein. Demzufolge sehen wir auch hier wieder, dass bereits beim Dy-Trafo beobachtete Übertragungsverhalten. Der Fehler wird auch auf der anderen Seite dreipolig gesehen und berechnet sich trivial aus der Transformatorübersetzung.
Wie sieht es jetzt mit dem zweipoligen Kurzschluss aus? Dieser trat ja, wir erinnern uns, auf der jeweils anderen Seite eines Dy-Trafos als dreipoliger Kurzschluss in Erscheinung. Ist das bei unserem vorliegenden Netzkuppler nun wieder so?
Die Antwort auf diese Frage lautet ganz klar nein. Der zweipolige Kurzschluss wird auf der Primärseite ebenfalls als zweipoliger Kurzschluss gesehen. Er kann zudem wieder vereinfacht und unter Verwendung des Übersetzungsverhältnisses berechnet werden.
Da wir hier keine Dreieckswicklung, sondern eine Sternwicklung auf der Primärseite haben, wird der Strom phasentreu übertragen. Der zweipolige Kurzschluss besteht ausschließlich aus Mit- und Gegensystem und die Ströme in den kurzgeschlossenen Tertiärwicklungen heben sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Vorzeichen weg, woran wir auch schön sehen können, dass kein Nullsystem existiert.
Kommen wir zum einpoligen Kurzschluss. Wie wird nun der einpolige Kurzschluss auf die Primärseite übertragen?
Wie wir sehen, erhalten wir im Falle des einpoligen Kurzschlusses einen dreipoligen Kurzschluss auf der Primärseite. Auch hier führt eine Phase wieder den doppelten Kurzschlussstrom der beiden anderen Phasen, mit der bereits bekannten Richtungsopposition. Zur Berechnung müssen wir nun den Kurzschlussstrom der Sekundärseite durch die dreifache Trafoübersetzung teilen. Dadurch erhalten wir den kleineren Strom der beiden gleichen Phasen, die größere Phase ist noch einmal mit dem Faktor zwei zu multiplizieren.
Um zu verstehen, wie es zu diesem Phänomen kommt, schauen wir uns wieder die detaillierte Abbildung der Wicklungen an. Wie wir sehen, wird der Strom der fehlerbehafteten Phase zunächst direkt auf die Primärseite übertragen. Außerdem wird er auch in die entsprechende Phase der Dreieckswicklung induziert. Da sich die Dreieckswicklung im Kurzschluss befindet, ist das praktisch gesehen, das gesamte Nullsystem kurzgeschlossen. Der Nullstrom ist gezwungen durch alle drei Dreieckswicklungen zu fließen und ruft dementsprechend auch Stromflüsse in den vom Fehler nicht betroffenen Phasen der Oberspannungsseite hervor. Wie wir sehen, besteht der einpolige Kurzschluss also aus Mit-, Gegen- und Nullsystem.
Wir sparen uns jetzt den Schritt, die Fehler noch auf die andere Seite des Netzkupplers zu legen, hier kommen selbstverständlich die gleichen Erklärungen und Phänomene zum Tragen.
Zusammenfassung
An allen üblichen Transformatoren werden dreipolige Kurzschlüsse dreipolig übertragen und können ohne Weiteres anhand der Trafoübersetzung berechnet werden. Zweipolige Fehler hingegen erscheinen bei Yd- und Dy-Transformatoren dreipolig und bei Yyn Transformatoren werden sie phasentreu als zweipolige Kurzschlüsse übertragen. Einpolige Fehler erscheinen bei Yd- und Dy-Transformatoren zweipolig und es ist nicht mehr hinreichend, die einfache Trafoübersetzung für die Berechnung heranzuziehen. An Yynd-Transformatoren werden einpolige Kurzschlüsse auf der Primärseite sogar als dreipolige Kurzschlüsse gesehen und können ebenfalls nicht mehr ausschließlich aus dem Übersetzungsverhältnis berechnet werden. Die entsprechenden Formeln zur Berechnung haben wir gezeigt.
Wenn der Beitrag jetzt bei Euch für Interesse gesorgt haben sollte, dann empfehle ich Euch einfach mal, mit der Software RelaisSimTest der Firma Omicron eigene Berechnung anzustellen und die beschriebenen Phänomene nachzuvollziehen. Es macht großen Spaß, die Fälle mal selbst zu untersuchen und hier kann man auch eigene zusätzliche Fragen klären.
Ansonsten könnt ihr uns auch gerne bei unserem Mittelspannungsschutz Intensivseminar in Burg / Spreewald besuchen. Hier nehmen wir uns die Zeit und lernen die symmetrischen Komponenten in aller Tiefe, um selbst jederzeit über das entsprechende Handwerkzeug für Analysen dieser Art zu verfügen.
In unserem Downloadbereich könnt Ihr Euch zudem ein PDF zu diesem Artikel herunterladen, wir haben dort für Euch eine Übersicht der hier beschriebenen Kurzschluss-Übertragungen zusammengestellt.
Im nächsten Teil untersuchen wir dann die Übertragung von Erdschlüssen und geben Antworten auf die Fragen: Werden Erdschlüsse überhaupt übertragen, wenn ja, wann und unter welchen Umständen und vor allem wie? Hier wird es einige Überraschungen geben, soviel kann ich schon jetzt versprechen.